Samstag, 20. März 2010

Frühling auf Vorschuss

(Auszug aus einem Gedicht von Erich Kästner):

Im Grünen ist's noch gar nicht grün
Das Gras steht ungekämmt im Wald
als sei es tausend Jahre alt.
Hier also, denkt man, sollen bald
die Glockenblumen blühn?

Die Blätter sind im Dienst ergraut
und rascheln dort und rascheln hier
als raschle Butterbrotpapier.
Der Wind spielt überm Wald Klavier,
mal leise und mal laut.

... Treffend ausgedrückt, wie so oft bei ihm. Na denn los, mal sehen ob der Frühling wirklich nur auf Vorschuss angekommen ist. Aha, trotz milder Luft am Vormittag: hier hält sich noch ein wenig Schnee; kleine, verlegene Reste, wo die Sonne noch nicht den ganzen Tag hinscheint. Aber deine Stunden sind gezählt ...



... und auch wenn die Linner Linde ihre mächtigen Äste noch kahl in den Himmel reckt: der Schweiss rinnt mir beim Lauf nach hier oben schon in die Augen, und das nasse T-Shirt will an diesem schönen Ort gewechselt werden.



Auf dem Linnerberg verlaufe ich mich ob dem gleissenden Licht, der unerwarteten Farbtupfern im Wald und der herrlichen Wärme. Und da tanzt mir sogar der erste Schmetterling heuer um die Füsse: ein kleiner Fuchs. Der ist sich wohl ziemlich sicher, dass der Frühling kommt, so wie er seine Flügel genüsslich sonnt ...


Später, auf der Staffelegg, ist alles, was Räder hat, unterwegs: Rennräder, Mountainbikes, Motorräder, Cabrios; da würde ich jetzt auch gerne Platz nehmen. Die Sonne macht mir zu schaffen, an eine Kopfbedeckung habe ich nicht gedacht, und irgendetwas fehlt mir ... die süssen Energiespender hängen mir zum Hals raus. Etwas Salziges fehlt - genau. In der Wüste werden Salztabletten abgegeben. Und heute, wo ich schon viel Wasser verloren habe, ist es bestimmt das, was mir fehlt. Ziemlich groggy stolpere ich nach Küttigen hinunter und bin schon nahe daran, eine Dame im Garten nach einem Bouillonwürfel zu fragen, da erblicke ich die Migros. Vor dem Regal bin ich ratlos: ich kann doch nicht ein Kilo Salz kaufen und mit mir rumschleppen? Da: eine Meersalzmühle. Die probiere ich. Das schmeckt! Und es hilft: in den folgenden Laufstunden - es kommen noch einige - werfe ich immer wieder ein paar Körner ein. Meine Stimmung bessert sich merklich, schon in Biberstein habe ich wieder Augen für die Schönheit der Natur: die Krokusse, die in Gärten oder wild aus dem Boden spriessen, oder diesen Baum, der den Termin für den Laubabwurf im vergangenen Herbst verpasst hat ...



Nun werden die Beine ziemlich schwer, doch es hilft der leichte Südwestwind, der mich der Aare entlang in Richtung Zuhause schiebt. Das Aareknie unterhalb der Wildegg ist ein schönes Zwischenziel; von hier an kenne ich die Pfade und die Abschnitte wie meine Hosentasche.



Ein paar Rastpausen noch, dann knurrt langsam der Magen. Aus dem Waldboden schaut frischer Bärlauch; ich zerreibe ihn zwischen den Fingern und stelle mir beim würzigen Duft einen Teller dampfender Teigwaren mit frischem Bärlauchpesto und geriebenem Parmesan vor:


Der Magen knurrt lauter und lässt sich kaum noch mit Dörrfrüchten beruhigen. Es wird später Nachmittag, das Licht wird reiner und lässt die alten Bäume unterhalb Schinznach-Bad knorrig ins Stahlblau ragen.



Noch ein paar Viertelstunden abwechselnd rennen / traben / marschieren, dann bin ich in Brugg und habe mein Soll erfüllt. Eine gute Fee meines Büros chauffiert mich die letzten Kilometer nach Villigen - geschafft. Ein Tag voller Sinneseindrücke geht zu Ende, und jetzt ist Kräftetanken angesagt. Aber der Frühling ist da, das war heute nicht zu übersehen, und darum schliesse ich mit Kästner:

Die Gärten sind nur noch zum Scheine kahl.
Die Sonne heizt und nimmt am Winter Rache.
Es ist zwar jedes Jahr dieselbe Sache,
doch es ist immer wie zum erstenmal.

1 Kommentar:

  1. Lieber Tobias,
    einmal mehr lesen wir mit Wonne Deine Zeilen und freuen uns immer wieder über die schönen Fotos!
    Frohe Grüsse, Iris & Mark

    AntwortenLöschen