Freitag, 22. Oktober 2010

Sand, Staub und Hitze - gibt es Schöneres?

Mit langsamen Schritten verlasse ich die Hotelanlage. Östlich der Sahl Hashish Road, meist zum Roten Meer hin, liegen diese unwirklichen Touristenghettos. In den rund dreissig Jahren seit dem Ausbau der Ferien-Infrastruktur sind hier kleine Paradiese entstanden, wo vorher nur Wüstensand lag. Aber es sind künstliche Welten; der All-Inclusive-Gast braucht sich um nichts zu kümmern und findet rund um die Uhr alles vor: Essen in zahlreichen Varianten und Lokalitäten, Drinks, Süsswasserpools, Liegen, bis hin zum Showprogramm und zur ägyptischen Folklore am Abend. Bloss: das Land selber hat man damit nicht erlebt. Niemand riecht die Hitze über der Wüste, spürt das Knirschen des feinen Staubes zwischen den Zähnen oder fühlt den trockenen Wind im Haar.



Also verlasse ich das Hotel durch den gesicherten Eingang. Gemäss den Reiseunterlagen soll man sich nicht alleine in den Südwesten des Landes wagen; die Gefahr von Entführungen sei im Wüstengebiet gross. Ich nehme an, der Südwesten beginnt nicht gleich südwestlich der Strasse, und trabe los.
Im Gegensatz zu den aufgemotzten Hotelanlagen zeigt die gegenüberliegende Strassenseite ein trauriges Bild: unvollendete Infrastruktur und Unmengen von Abfall. Die Erfindung von Plastikbeuteln und Petflaschen ist nicht nur segensreich: überall türmt sich das Zeugs, hängt in den Palmen oder Zäunen, liegt in Ecken und wird vom Wind herumgewirbelt. Gegenüber den Hotels sehe ich die einfachen Behausungen der Einheimischen: teils ordentliche Häuser, teils Lehmbauten oder Blechhütten, manchmal werden auch Rohbau-Räume mit Teppichen zugedeckt und als Wohnraum benutzt.



Am Ende einer solchen Anlage quere ich gegen Süden, verlasse die Strasse und laufe wieder … auf Sand. Nur wenige Meter, dann findet der Körper wieder den vertrauten Tritt: ein behutsames, tastendes Laufen über diesen riesigen Sandkasten, der sich gegen Westen öffnet und irgendwo in die sudanesische oder lybische Wüste führen würde. Der Boden ist fest und gibt nur wenig nach. Zu Beginn kreuzen sich Rad- und Kamelspuren, auch Hundepfotenabdrücke sind zu sehen. Dann werden sie weniger, und schliesslich ist der Boden unberührt, als ob hier noch nie ein Mensch durchgekommen wäre. Ich bin wieder angekommen.

Die Sonne brennt auch am Nachmittag heiss; es ist sicher 35 Grad. Ich greife in den Sand; unter der oberen, fest verbackenen Schicht ist er lose, rötlich und fein, durchsetzt mit gröberen Steinchen. Die Luft flirrt in der trockenen Hitze, und mein Blick geht in die endlose Weite. Distanzen sind schwer auszumachen; das Gelände ist weitgehend flach, bis auf gelegentliche Hügelchen. Ich renne wieder los, mal hierhin in ein Seitental, mal dorthin in ein anderes, und freue mich wie ein Kind. Das ist wieder die Landschaft wie vor genau einem halben Jahr in Marokko - es fehlen bloss der schwere Rucksack und der Zeitdruck. Doch ich fühle mich zuhause. Die schwarzen Steine, die gelegentlich den Boden überziehen, haben dieselbe glatte, harte und schwarze Oberfläche. Schüttelt man einige davon in der Faust, so klirren sie ebenso wie die anderen, welche tausende Kilometer weiter westlich in der Einsamkeit liegen.




Nach einiger Zeit - ich habe sie nicht gemessen, das ist hier draussen unwichtig, doch es dürfte noch länger dauern - leere ich mir den Rest des lauwarmen Wassers ins Genick und kehre zurück zur Kunstwelt auf der anderen Strassenseite. Staubig, verschwitzt und glücklich passiere ich den Sicherheitseingang beim Hotel. Inmitten der wohlgenährten, gebräunten Gästen, die gerade einmal zwischen Poolliege und Bar pendeln, komme ich mir - mehr als zuvor - fremd vor, und freue mich auf meinen nächsten Lauf ... in die Wüste.

Montag, 4. Oktober 2010

Oktobermorgen

Mein letzter Beitrag trägt noch die Handschrift des Sommers, doch dieser hat sich verabschiedet. Laufen mit Stirnlampe ist wieder Pflicht, eine weitere Bekleidungsschicht darf auch nicht fehlen - jedenfalls frühmorgens oder am Abend. Aber tagsüber hat die Sonne noch Kraft, wie am vergangenen Wochenende. Und es gibt vor der Haustür Bilder, die bald nur noch in den Bergen möglich sind: Bilder vom Nebelmeer. Ich fahre durch Villigen den Rotberg hoch, die milchigen Schwaden verziehen sich im trockenen, warmen Föhnwind, und sogar einige wenige Grillen zirpen im Gras:


Nur ein kurzer Ausflug ist es bis zur "Passhöhe". Rechtsumkehrt, den Schweiss aus den Augen reiben, und den Blick nach unten richten. "Seltsam, im Nebel zu wandern" würde Hermann Hesse jetzt (noch) nicht sagen, sondern mit Eichendorff der Seele erlauben, die Flügel auszuspannen ...