Dienstag, 13. April 2010

Der Weg ist das Ziel ...

ein dummer Spruch, eigentlich. Das Ziel ist doch das Ziel. Aber manchmal eben unerreichbar, so bei mir am 25sten Marathon des Sables. Ein Fehltritt, eine Fehlbelastung, Schmerzen in der Achillessehne, dann in der Wade und in der Kniekehle. Ich kenne diese Art; sie ist typisch für mein nach der Rückengeschichte schwächeres Bein. Es ist eine Verkrampfung, die man nicht lösen kann, nicht wegdehnen, nicht überschlafen; nicht einmal die starken Medikamente der DocTrotter im Zelt halfen, und so fällte ich den Entscheid zur Umkehr. Dennoch bin ich dankbar für die Erfahrungen. Ich durfte teilnehmen, viel mehr hätte mich geärgert, wenn ich kurz vorher ausgefallen und reiseunfähig gewesen wäre (wie einige Teilnehmer aus der Schweiz). So fasse ich zusammen, wenn auch ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

Erster Eindruck: Eine perfekte Organisation. Beeindruckend, was Patrick Bauer und sein Team inmitten der Wüste auf die Beine stellen. Alle sind freundlich und hilfsbereit, zu jeder Tages- und Nachtzeit, in der Unruhe des Biwakauf- und abbaus, gegenüber missmutigen, überreizten Teilnehmern. Da steckt viel Erfahrung, Können und guter Wille drin - Bravo!





Zweiter Eindruck: Abgeschiedenheit? Von wegen. Die Medien sind allgegenwärtig - es gibt sogar gelegentlichen Handyempfang. Die Welt ist mit dem MdS vernetzt und der MdS mit der Welt - ständig aktuell und online. Trage weder auffällige Kleidung noch Logos, Tätowierungen oder Länderflaggen, und verkneife dir Wehklagen - dann interessiert sich kein Presseteam für dich. Engagiere dich dagegen lautstark (für den Kampf gegen Leukämie, contre la mucoviscidose, ...) , schrei vor Schmerzen oder lass dir im Doc-Zelt blutige Blasen aufstechen, dann hast du Linse und Mikrofon mitten im Gesicht.



Dritter Eindruck: eine enorme körperliche und geistige Herausforderung. Ständig wechselndes und daher schwieriges Terrain, grosse Hitze und drückende Feuchtigkeit, endlose Weite, das Gewicht auf den Schultern - alle lernen hier Grenzen zu spüren, zu verschieben oder anzuerkennen. Zu welchem Preis und mit welchem Medikament, das entscheidet jeder allein, doch gespart wird weder an Leid noch an Substanzen. Entsprechend ist auch die Gesprächskultur: man redet gelegentlich miteinander und oft aneinander vorbei. Das liegt daran, dass der Extremläufer als Zuhörer nur den anderen Extremläufer hat (Otto Normaljogger gibts dort draussen nicht). So will jeder das Durchlittene sogleich loswerden und reinigt im Geschichtenerzählen die eigene Seele.



Vierter Eindruck: Die Wüste ist über weite Strecken wüst. Der Lauf führt weitgehend durch Mondlandschaft. Gegenden wie vom Kalenderblatt sind selten; die website-Fotos täuschen manchmal (da digital aufgepeppt), die eindrücklichen Merzouga-Dünen gibts erst auf der Schlussetappe, auf welcher die meisten genug haben und endlich nach Hause wollen. Wenige Genussläufer nur (ausnahmslos Marschierer) lenken ihren Blick vom Pfad oder der Ferse des Vordermanns weg, auf die Umgebung, zu einem Busch, über den Berggrat hinaus. Das Augenmerk gilt vielmehr dem kürzesten Wegabschnitt, der Ideallinie durch den Sand, dem nächsten Checkpoint. Zwischenzeit und Rang, Zahlen und Masseinheiten stehen bei manchen höher im Kurs als Sinneseindrücke.



Fünfter Eindruck: der MdS ist auch ein bisschen absurdes Theater. Zahlreiche Wohlstandsverwöhnte lassen sich für viel Geld in klimatisierten Cars in die Wüste fahren, um ein schlichtes Zeltlager zu beziehen. Im Hintergrund garantiert ein perfekt eingespieltes OK für Sicherheit und Infrastruktur. Die Ausrüstung wird ein letztes Mal gecheckt, ein Investmentbanker wirft seine sündhaft teure neue Isomatte in den Abfall, weil er sie unnütz findet. Dann wird losgelaufen, ausstaffiert mit Hightechnahrung und -bekleidung, mp3 im Ohr, Solarladegerät und Handy dabei. Bettelnde Kinder entlang der Strecke passiert man zügig; es wird empfohlen nicht anzuhalten, weil sie einen umringen und von hinten Ware vom Rucksack stehlen sollen. Was müssen sie von uns denken?



Weitere Eindrücke: Milde Temperaturen in der Nacht, dafür fehlt das überwältigende Tiefschwarz mit unendlichem Sternenmeer. Diesiger Himmel am Nachmittag, fast hochnebelartig, was keine Bilder mit azurblauem Hintergrund erlaubt (ich vermisse die Fotoausrüstung). Stille. Und dann wieder das Knattern des Helikopters. Gläsernes Klirren der schwarzen Steine, wenn ich darüber stolpere. Knochentrockener Boden eines früheren Sees, durchzogen von feinen Rissen. Mitten in der flirrenden Hitze ein Fluss mit klarem Wasser. Blühende Pflanzen, die aus dem staubtrockenen Grund wachsen. Versteinerungen. Sand, so fein wie Puderzucker: ocker, grau, schwärzlich, rotbraun. Ziegen und ein Hirtenjunge mitten in der Leere. Kamele und Esel. Ein Schmetterling! Trockenes Holz und würziger Duft von den verschiedenen Lagerfeuern. Herrlicher Sultan-Tee am Ende jeder Etappe.











«Wer in die Wüste geht, kehrt anders aus ihr zurück.» Auch das gilt für jeden in unterschiedlichem Masse, und «anders» heisst nicht unbedingt «erfüllter». Ich sah müde Gesichter, voller Zufriedenheit und Stolz. Ich hörte die Planung bereits neuer Laufabenteuer. Aber auch Sinnfragen, Ungewissheit, Jammer nach vollbrachter Tat. Ein Läufer, auf die Frage nach dem Warum der Wiederholung angesprochen: der Alltag sei derart massgeschneidert und vom Prinzip «time is money» dominiert; dies hier sei das pure Gegenteil. Zeit werde relativ, man begegne Leere und Weite und dem einfachen Leben mit Fremden im Zelt. Einleuchtend - dennoch fragte ich mich: ist nicht der Alltag eine Wüste, wenn er derart eintönig und fremdbestimmt verläuft? Macht das alltägliche Leben Sinn, wenn man darin keine Balance hat, keine Freude und Ausgeglichenheit findet, sondern jährlich den Ultra-Specialevent braucht um es auszuhalten? Aber wie schon gesagt: jeder sucht hier draussen seine Antworten, jeder findet andere, und das macht das Einzigartige aus.


Zum Abschluss bleibt mir ein Sprichwort haften: «Keine Strasse ist lang mit einem Freund an der Seite.» Es führte zwar keine Strasse über den Jebel El Otfal, sondern 25 % Steigungskraxlerei, aber danke, François, dass du ihn mit mir überquert hast. Das gab mir Mut und Zuversicht am Ende meiner Kraft. Und danke, Sven, Christoph, Jürg, Michael, François und Rolf, für die einzigartig gute Kameradschaft im Zelt - ich werde euch, die ganze Zeit, das ganze Erlebnis, nie vergessen, sondern hin und wieder vermissen. Und schreibe mir daher auf die innere Flagge: auskurieren und Testläufe im 2011, und zurück in den Sandkasten im 2012.


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