Samstag, 30. Juli 2011

Swissalpine Davos

Lange ist es her ... und nach einem verpatzten Start in Biel mit Abbruch bei km 56 finde ich, ein Lauf mit Sehenswürdigkeiten wäre schon mal wieder schön. Davos bietet sich an. Statt bei Nacht und Nebel und Regen Kilometer zu "fressen", wie dieser - für mich bewundernswerte - Barfussläufer es sich in Biel angetan hat...



... nun also ein Lauf bei klarer Sicht und inmitten der atemberaubenden Bergwelt. Ich entscheide mich für den K42; dafür sollte die Trainingsform noch reichen, auch wenn ich nicht viel dafür tat und der Verdauungstrakt sich über die hohe Magnesiumdosis der vergangenen Tage beklagt. Die vielen Läuferinnen und Läufer am Bahnhof in Davos Platz lassen tolle Stimmung aufkommen, die Bahnfahrt nach Begrün ist kurzweilig und lustig, dann eine rasche Nachmeldung, Nummer anheften, ein Schluck Wasser und ein Riegel - und einreihen in den Startblock, der es heute ruhig angehen wird.




Nach Begrün zieht sich die Steigung sanft durchs Val Tuors in Richtung Chants dahin. Der Bach plätschert, Bergblumen blühen, gute Stimmung unter den soeben gestarteten K42ern. Christoph ist auch wieder hier, mit einer roten Nummer, d.h. er läuft den 78er und hat also schon einige km mehr in den Beinen. Er ist guten Mutes. Umwerfend - ich bewundere ihn. So möchte ich auch alt werden ... ich geb mir Mühe. Na ja, zumindest heute werde ich - vorübergehend - alt.







Bis Chants muss ich meinen linken Schuhbändel immer wieder nachziehen. Warum lockert er sich nur? Letzte Verpflegung vor dem Aufstieg zur Keschhütte, und dabei ein genauer Blick auf die Schuhe - ich erstarre: Linker Bändel gerissen. Der Chip hängt knapp am Kabelbinder, die dumme Salomon-Schnur löst und verselbständigt sich. Mist. Fluchen hilft nichts, also hochsteigen und abwarten, ob mir jemand hilft. Bergauf geht das ja einigermassen, und vorerst geht es nur bergauf.




Ein schöner Trail. Es beginnt zu nieseln, ab und zu zeigt sich aber auch die Sonne. Bald ist die Keschhütte in Sicht. Ein Läufer des K78 hat Mühe, bleibt sitzen, fühlt sich eiskalt an - Kreislauf? Einige von uns motivieren ihn, päppeln ihn mit etwas Traubenzucker auf, er geht weiter. Die Solidarität unter den Teilnehmer ist spürbar. Und die Internationalität im Feld ebenfalls: Dänen, Engländer, Spanier laufen mit mir hoch, dem ersten Gipfelpunkt entgegen.









Hier oben hilft man mir mit Schnur und Kabelbindern, aber es nützt nichts: das verflixt praktische Schnürsystem von S. lässt keine Alternative zu. Die Zeit läuft und die Bastelei erledige ich nicht gerade geduldig; ich weiss genau, was nun folgt: Abstieg über nasses, rutschiges Gestein - mit einem offenen Schuh schwierig. Ich binde ihn mit dem Rest des Bändels zusammen, so gut es eben geht, stürze Bouillon und Wasser in mich, fasse einen der adretten Plastikmäntel, die ein orangefarbener Grossverteiler gesponsert hat, und ziehe los. Die Wetterscheide ist direkt hier: vorher war's noch angenehm, doch gleich hinter der Hütte dreht der Wind auf Nord, vermischt mit Regen. Die Finger werden schlagartig kalt. Abstieg auf dem Panoramatrail ohne Panorama, später wieder Aufstieg zum Sertigpass. Mein Tempo ist verlangsamt; nicht nur der dünnen Luft wegen, sondern weil ich immer wieder fast aus dem Schuh falle, den mir der Matsch ausziehen will. Was soll's, der  point of no return ist überschritten, und irgendwie komm ich schon runter.










Sertigpass. Zwei Passhöhen erreicht - und erst die Hälfte der Strecke. Macht nichts. Essen, trinken, mit den Sanitätern schwatzen - die Betreuung ist vorzüglich und freundlich, trotz Schmuddelwetter - nun runter ins Tal, wo die Luft ein wenig gesättigter und der Weg auch etwas breiter ist. Man muss höllisch aufpassen auf diesen groben Gesteinsbrocken. Die exzentrische Belastung der Beine macht sich nun bemerkbar, doch es geht ohne Sturz und gröbere Fehltritte. Zu alldem gesellen sich noch die vertrauten Fokussier-Schwierigkeiten ... sollte ich doch endlich einmal zum Optiker? Na ja, ich darf ja auch etwas müde sein, auch wenn, wie gesagt, die zweite Hälfte erst grad begonnen hat.





Das Tal ist in Sichtweite. Endlich nicht mehr Rücksicht im Gänsehüpfschritt, sondern in schönem Tempo gegen Davos hin rollen, durch Sertig-Dörfli hindurch und weiter ...



... allerdings dauert das eine lange, lange Zeit, und wie immer ist der Abschnitt zwischen km 25 und 35 länger als man denkt ... die Landschaft ist hingegen wieder schön: Wäldchen und Feldwege, Blumen und Gräser, zirpende Grillen, und der Regen lässt nach. Das Regenmäntelchen wird deponiert und das Tenue gelockert, gegen die Matschbirne hilft Traubenzucker zuverlässig, und nachdem die ersten Häuser von Davos ins Blickfeld rücken geht alles wieder ganz leicht.



Dieses Schild lässt aufatmen und spült Adrenalin in die müden Glieder:


Erstaunlich, wieviel Kraft es immer wieder verleiht. Die letzten beiden km geniesse ich, auch wenn mein Schritt einmal federnder aussah als jetzt ...






In der Zielkurve sehe ich Walti und andere frühere Bekannte; Einlaufen im Stadion mit Musik und dem Speaker und einer mir völlig unbekannten Dame, die ausgelassen ist als ob nichts gewesen wäre - Ziel, Ende, Aus. Wundervoll. Und endlich die Schuhe entsorgen, die mich heute so unzuverlässig begleitet haben:



Fazit: ein wunderbares Lauferlebis, das durch eine beeindruckende Bergwelt führt. Ich bin dankbar, dass Kopf und Beine und viele gute Gedanken, eigene und andere, mich über die Pässe getragen haben, und werde das wohlige Gefühl nach vollbrachtem Lauf noch lange nacherleben.

1 Kommentar:

  1. schön wie sie den K42 beschreiben, so kann man die ganze Strecke nochmals erleben und im Sitzen geniessen! Tolle Fotos, dafür hatte ich leider die Ruhe nicht.
    sportliche Grüsse von der Startnummer 2185

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