Freitag, 15. April 2011

Alles mit Mass, und nichts im Übermass - ??


So begann kürzlich eine Diskussion. Die Geisteshaltung dahinter ging mir auf den Geist. Es war auffällig: alle hatten tausend Gründe, warum Bewegung und Sport in ihrem Leben keinen Platz, keine Zeit, keinen Raum finde; jedenfalls nicht in dem Ausmass wie bei mir. Wenn schon Bewegung, dann nicht zu viel und höchstens zweckorientiert. Um abzunehmen, die Figur zu straffen. Weils der Doktor empfiehlt. Weil man ja weiss dass man sollte, dass es gesund sei, belebend und vitalisierend. Bewegung, entstanden aus einem schlechten Gewissen, nicht aus lustvoller Freude am Spiel mit dem Körper und der Natur. Und höchstens massvoll, wie übrigens alles im Leben. Kein Wunder, dachte ich, gibt 's den Jo-Jo-Effekt. Wer sich nur aus Diätgründen bewegt, hört damit auf, sobald die Kilos weg sind, und freut sich aufs Fressen. Ein Bekannter mit einer gewissen Leibesfülle brachte es auf den Punkt, als er zu mir sagte: "Wenn ich dich ansehe und mir vorstelle, ich sei wie du; ich würde sofort aufhören mich zu bewegen."

Rasch kam die Runde aufs Essen und Trinken zu sprechen. Auch hier hörte ich das Zauberwort immer wieder -  und es schauderte mich ob der Langeweile, welche die Runde ausstrahlte. Zitat aus einer Kolumne von Schirach: "In ein paar Jahren werden wir in hellen Restaurants ausschließlich Obstsäfte aus biologisch und menschenrechtlich einwandfreiem Anbau trinken, auf der Karte werden Kalorienangaben gedruckt, die Kohlenhydratmenge eines Gerichts darf zwölf Prozent nicht übersteigen, Salz-, Zucker- und Fettanteile sind gesetzlich festgelegt…" - Schöne heile Welt: ein Leben mit der Vorhersage, die höchste Lebenserwartung - statistisch gesehen - zu erreichen. Alle freien Radikale abgewehrt, Allergene und sonstige böse Stoffe sowieso. Zum Gähnen, dachte ich, und verglich im Stillen zwei Extreme:
… ein massvolles Leben mit kontrolliertem Blutdruck, verletzungsfreiem Sportprogramm und angepasster Nahrungszufuhr, kein Verlassen der markierten Wanderwege, stets genügend Schlaf, um schliesslich in hohem Alter in einem netten Heim vor dem Mühlebrett wegzudämmern …
oder ein ungestümes Drauflosleben, regelmässig die ausgetretenen Pfade verlassen, mit Risiken, Nebenwirkungen und Narben, und darum vielleicht im besten Alter aus einer Bergwand fallen …

Ich wählte Letzteres. Lieber einen stundenlangen Nachtlauf mit Blick in den Sternenhimmel als 50 Senderkanäle und Feierabendbier bis zum Einschlafen vor der Röhre. Schürfungen von intensiv gelebtem Leben spüren, aber bitte kein in Watte gepacktes Touristenabenteuer. Berge und Meer, Fels und Sand - statt Disneyland, Wasserpark und Wellnessoase. Anstrengung bis an die Grenze und darüber hinaus erleben, und die totale Erschöpfung danach - aber richtig und nicht mit einer Wii-Konsole in der Hand.
Schon höre ich die Frage: "Und wo, bitteschön, verläuft der goldene Mittelweg?" Ach herrje, bereits wieder diese Suche nach Mass. "There are so many ways to lose your life besides dying." (Mark Jenkins "A Man's Life"). Nichts beizufügen. Und nach dem Besuch des Banff MountainFilmFestivals fühle ich mich in meiner Haltung bestätigt. Raus aus dem Sessel und weg vom markierten Weg.

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